My near philosophical musings about the world in general its problems and possible ways out.

2007-02-24

Das Meeting

oder die große ToDo-Schleuder.

Haben Sie schon einmal an einem Meeting teilgenommen? Was für eine blöde Frage? Das muss doch jeder Berufstätige über sich ergehen lassen. Selbst Menschen, die sich noch daran freuen können, mit ihren eigenen Händen etwas Sinnvolles zu schaffen oder der freiheitsliebende Außendienstmitarbeiter – Alle müssen da immer wieder durch. Umso wichtiger ist die richtige Überlebensstrategie.

Wichtig ist der optimale Sitzplatz. Er muss strategisch gewählt werden: Nicht auf der Seite eines der Kontrahenten, sondern abseits, notfalls dazwischen. Wichtig ist ein freier Blick, am besten ein Blick ins Freie. Das entspannt. Dieser blaue Zwischenraum zwischen den dahineilenden Wolken. Wäre er ohne die Wolken noch genauso schön? Woher mögen sie kommen? Wohin mögen sie ziehen? Wie lange werden sie existieren, bevor sie vergehen? Und wir dagegen? Ist nicht alles „was uns groß und wichtig erscheint“ dagegen „nichtig und klein“? Das ist schon ‚mal die geeignete innere Verfassung, um dem kommenden Hick-Hack x n (eben n mal hick - hack - hick - hack …) ausreichend gelassen zu begegnen.

Dann die Ausrüstung: Kaffe, Wasser, Schreib- und Lesematerial sind rechtzeitig zu beschaffen. Und bitte aufmerksam mitschreiben, aber nicht zwangsläufig das, was hier verhandelt wird. Nichts ist so aufregend, dass es notwendig wäre es auf jungfräulichem Papier mit der eigenen Hand festgehalten zu werden. Aber wollte ich nicht ohnehin den einen oder anderen Gedanken festhalten, oder eine Studie, einen Artikel entwerfen, eine Management Summary schreiben? Hier ist die passende Gelegenheit. Kein Anruf wird sie stören, kein Chef mit einer neuen blöden Idee hereinstürmen – aber weg können Sie ja auch nicht. Als Vorsichtsmaßnahme und weil es die Höflichkeit erfordert: Von Zeit zu Zeit aufmerksam zum aktuellen Sprecher aufsehen und der Runde mit den Grunztönen des „strukturierten Schweigens“ (Kopf nicken, Kopf wiegen, Hmmm, oh, aha, interessant!, …) zu verstehen geben, dass Sie gewissermaßen an seinen Lippen hängen – sie müssen ohnehin hin und wieder etwas überlegen.

Beobachtungen regen an. Was macht der kleine Türkenjunge drüben auf dem grauen und kahlen Balkon? Über dem Geländer ist der Balkon mit Maschendraht abgeriegelt. Er Junge sitzt im Käfig und hüpft wie ein gefangenes Kaninchen darin hin und her. Spiel oder Wahnsinn? Auch er also eingesperrt. So hat jeder seine Not. Unter ihm die Blätter der Ahornbäumchen am Straßenrand. Dann - ein silberheller Strahl blitzt plötzlich in einem sonnigen Augenblick auf. Der Junge fühlt sich erleichtert, der Baum hat alles aufgefangen. Alles? Wenn später einmal ein versprengter Tropfen einen Passanten treffen wird, so wird der keinen Zusammenhang mehr herstellen können.

Wir sind Tatmenschen. In Meetings werden Entscheidungen getroffen, Verantwortungen zugewiesen, Aufträge, die berüchtigten ToDo’s, verteilt. In hektischen Zeiten ist das Meeting der Leiter aller Teilprojekte eine einzige große ToDo-Schleuder. Wegducken reicht da nicht. Hier sind ausgefeilte Taktiken gefragt, will man nicht als der hämische „gelobte“ Lastesel dastehen. Den Erfolg, auch den scheinbaren, stecken eh immer nur die professionellen Dampfredner ein. Wer ein Problem auf den Tisch bringt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für dessen Lösung verhaftet. Aber auch der Unscheinbare ist in Gefahr. Hat er doch noch nicht überzeugend seine Arbeitslast und sein unternehmenskritisches Engagement dargelegt. Die nächste Regel also: „Ein jeder habe seinen überzeugenden Auftritt.“ – aber möglichst auf einem Nebenschauplatz.

Eine schwarze Wolke schiebt sich vor die Sonne. Ist das vielleicht die wandernde Schuld, die sich jetzt einen – virtuellen – Sündenbock sucht? Nehmen wir es lieber als solidarischen Fingerzeig eines höheren Wesens. Gefahr ist im Verzug, danke. Ja, wir sind ehrgeizig. Wir haben uns viel vorgenommen. Das folgerichtige Versagen ist nicht immer leicht zu überdecken – auch wenn wir darin besondere Fertigkeiten entwickelt haben. Um damit leben zu können, müssen wir von Zeit zu Zeit einen von uns „in die Wüste schicken“. Einen von uns, wie weiland die alten Israeliten einen Ziegenbock. Sie überhäuften ihn mit Schimpf und Schande und all ihren „Sünden“ und trieben den Ahnungslosen rituell abgesichert seinem sicheren Verderben entgegen als Sündenbock in die Wüste. Vielleicht ist es also wieder so weit – einer von uns.

Jetzt aber ist ein neues Gesicht in der Runde aufgetaucht. Einer meiner Chefs in meiner n-dimensionalen Führungsmatrix platzt freudestrahlend mit einem noch echt frisch aussehenden Newcomer in unser inzwischen leicht verspannt wirkendes Managementspiel. Er sieht noch frisch und arglos aus. Ein unbeschriebenes Blatt. Wie wird er sich entwickeln? Ein neuer Sündenbock? Nein, ob echt oder vorgetäuscht, zunächst einmal bekommt hier jeder seine Chance. Er wird eingebunden. Es wird reorganisiert. Die Karten werden neu gemischt. Die Minen entspannen sich wieder. Bis zum nächsten Mal.

Horst-Walther

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