Mein Freund und ehemaliger Mitschüler Gerd Rolfs hatte mich einmal – allerdings sehr im nachhinein – mit der Aussage erschreckt, dass unser Gymnasium wohl eher ein Straflager für andernorts gestrauchelte Lehrer gewesen sei.
Bei einigem Nachdenken erklärt dieser späte Hinweis tatsächlich einige Merkwürdigkeiten. Lehrer, die nur kurz auftauchten, mehr als in jener ländlichen Gegend ohnehin üblich dem Äthyl-Alkohol zugetan waren, gegen die örtlichen Gebräuche in ihren rostigen Gefährten nächtigten oder sonst wie auffällig waren.
Darüber, dass Mitglieder des Lehrkörpers, die wir als scharf bezeichneten, auch erkennbar scharf auf einige der Schülerinnen waren, war für uns Jungs zwar von einem gewissen Sensationswert, aber nicht wirklich von Interesse.
Eher wurde schon diskutiert, dass Mitschüler eingeladen wurden, mit auf Sauftour durch die lokalen Lokale zu gehen. Auch blieb uns unbedarften Dorfjungs schon damals nicht lange verborgen, dass es einigen unserer damaligen Lehrer nicht nur an pädagogischen Fähigkeiten fehlte. Die kann man bei Lehrern offenbar auch nicht erwarten. Nein, sie hatten auch offensichtliche fachliche Schwächen. Das wurde schnell offenbar, wenn sich doch einmal einer von uns für ein Thema interessierte und eine gewisse Fachexpertise aufgebaut hatte. An der Motivation fehlte es – mit rühmlichen Ausnahmen – aber fast allen.
Später an der Uni habe ich dann gemerkt, dass meine Vorbildung, mit Ausnahme des Faches Chemie, nicht dem entsprach, was als Voraussetzung angesehen wurde. In Chemie war es übrigens auch nicht das Verdienst des Lehrers gewesen. Der war eher eine „Flasche“ und wurde entsprechend auch kaum wirklich ernst genommen. Nein, ernst genommen hatte ich irgendwann einmal den Inhalt des Faches selber, einige Chemiebücher in meiner freien Zeit durchgelesen und fortan am Unterricht nicht mehr teilgenommen. Das auf Bitten des Lehrers, nachdem ich die Chemiestunden einige Monate lang total dominiert hatte.
Das eigentliche Entsetzen folgt aber erst jetzt mit großer Verzögerung. Nachdem die eigenen Kinder, wiewohl ganz andere Charaktere als ich damals, Geschichten erzählen, die den meinen gleichen, dämmert die Erkenntnis, dass es sich hier nicht (nur) um meine persönlichen Macken oder die meiner „Lieblingsopfer“ unter den Lehrern handelte sondern um einen systematischen Misstand der Deutschen Nation.
Die sauerkrautbärtigen Baskenmützenträger in ihren ausgebeulten braunen Cordanzügen, die sich in der modernen Welt nicht mehr so richtig zurecht fanden, waren eben tendenziell eher Zivilisationsflüchtlinge, die diesen lax geführten Staatsdienst als Chance für die innere Emigration nutzten als dass der Zufall uns hat Nieten ziehen lassen.
Und diese Haltung hat System. Sie ist nicht auf Lehrer beschränkt, die ihr freizeitorientiertes Berufsbild in diese Nische gezogen hat. Es gehören, wenn ein Misstand zu beklagen ist, immer zwei Seiten dazu. Auch die entsprechenden Behörden hatten nichts dagegen, dass die unterrichtsfreie Zeit von den Lehrern zu Ferien umgedeutet wurden – mit der Folge, dass die Pauschalreisen in alle Welt und die Ferienhäuser in der damals noch billigen Ost-Algarve von Lehren dominiert wurden. Denn wer sonst hatte so viel „freie“ Zeit.
Das fängt bei der Ausbildung an: ein Mathematik- oder Chemielehrer ist nicht etwa ein Mathematiker oder Chemiker mit einer Zusatzausbildung in Pädagogik. Nein, sie durchlaufen eine völlig gesonderte Schmalspurausbildung, die sich besonders durch fruchtloses Diskutieren auszeichnet. Und zu dieser Laufbahn findet sich nur bereit, wer sonst nirgendwo landen kann oder den Wettbewerb eines ernsthaften Berufes scheut. Ein Auffangbecken für drop-outs also. Entsprechend gering auch ist das Ansehen von Lehrern in der Gesellschaft.
Aber was ist das für eine Gesellschaft, die so etwas mit sich machen lässt – oder besser – die so etwas betreibt. Mehr als je zuvor ist Europa darauf angewiesen, im Wettbewerb der Köpfe und Ideen, die Nase vorn zu haben. Kreativität und Innovation können uns mit den Waffen vorsorgen, die wir im Wettbewerb mit den aufstrebenden Industrienationen des Ostens mit ihrem ungeheuren Potential an ausgebildeten und ehrgeizigen Menschen, benötigen.
Statt dessen geben wir die Zukunft unserer Kinder und damit unsere Zukunft in die Hände von Randexistenzen. Und selbst wenn wir über die Schule schimpfen, weil es doch gute Tradition ist, nichts von ihr zu halten, so fahren wir doch lieber selber im Mercedes die drei Kilometer bis zu unserer Arbeitstätte, als unsere Kinder auf eine Privatschule zu schicken und selber das Fahrrad zu nehmen. Ein Blick nach Asien könnte uns dabei lehren, dass andere Nationen sehr wohl anders handeln können – und das mit langfristigem Erfolg.
Es sei zugegeben, so eingeschlafen, wie zu meiner Schulzeit sind wir nicht mehr. Im Gegenteil Deutschland ist aufgeschreckt aus seinem Schlafmützentraum vom Sozialstaat. Kopf- und orientierungslos geben wir jetzt uns und allen anderen die Schuld dafür, dass wir aus dem Paradies des postkolonialen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichts verdrängt worden sind. Solange wir aber nicht begreifen, dass wir nur die Besten an die Ausbildung unserer Kinder lassen dürfen, nur die klügsten Köpfe und die fähigsten Hände, an der Stelle von bejammernswerten Weltflüchtlingen, solange haben wir nicht begriffen, wo die Ursachen unseres Abstiegs liegen. Solange können wir auch nichts Wirksames dagegen tun.
Horst-Walther
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