Wissen über Menschen ist Macht über Menschen.
Da wir Menschen in Gesellschaft leben und nicht isoliert und allein, müssen wir einen Teil unserer Entscheidungssouveränität an die Gemeinschaft abgeben. In einer repräsentativen Demokratie delegieren die Bürger einen Teil dieser Macht an gewählte Volksvertreter, die ihrerseits staatliche Stellen besetzen.
Das ist weder neu noch originell. Die Balance zwischen einem ausreichend handlungsfähigen Staat und einem zu großen Souveränitätsverlust aber ist schwierig und gibt traditionell Anlass zu permanenten Verschiebungen in die eine oder andere Richtung.
Wenn das bereits schwierig genug ist und keineswegs immer das Optimum dieses Konfliktes gefunden wird, so fügt die aktuell verfügbare Informations- und Kommunikationstechnik diesem Konflikt noch eine weitere Komponente hinzu. Und in dieser haben wir noch keine Tradition.
Zwar haben innovative Randgruppen, wie die europaweit aufgetretenen Piratenparteien, sich als Avantgarde einer kommenden Erkenntniswelle verstehend, dieses Thema bereits vor einigen Jahren adressiert und damit kurzzeitig eine gewisse öffentliche Aufmerksamkeit gewinnen können. Mainstream geworden ist die Erkenntnis, dass unsere informationelle Selbstbestimmung gefährdet, wenn nicht gar schon kompromittiert ist, erst durch die weitreichenden Enthüllungen geheimer Praktiken durch den US-Amerikanischen Whistleblower und ex-NSA Mitarbeiter Ed Snowden.
Der Schock saß tief, hatte weite Bevölkerungskreise erreicht und für viel Empörung gesorgt. Ein erkennbarer Lerneffekt, der zu Konsequenzen in unserer politischen Philosophie hätte führen müssen, ist aber nicht zu beobachten. Offenbar ist es nicht leicht, unser Grundverständnis von selbstbestimmten Leben im Lichte der neuen Möglichkeiten zu ergänzen.
Klar ist, dass zu unserem Verständnis vom Menschsein auch der Begriff der Privatheit gehört. Wir alle brauchen einen Bereich, den wir Privatsphäre nennen, in dem wir „unter uns“ sind. In diesem Kreis wollen Dinge tun, ohne jemand anderes um Erlaubnis fragen zu müssen. Im Zweifel soll die Außenwelt davon nichts erfahren. Zumindestwollen wir selber kontrollieren, was sie erfahren soll – und was nicht.
„Stadtluft macht frei“ war der Lockruf, der neben materiellen Verheißungen, ganze Generationen in die Städte ziehen ließ. Und keineswegs war nur die Flucht vor der feudalen Herrschaftsstruktur auf dem Lande der Antrieb. Auch die Verheißungen der Anonymität wurden unmittelbar mit Freiheit übersetzt. Auf dem Lande wusste jeder (fast) alles über (fast) jeden. Den Fremden erkannte man sofort und begegnete ihm mit Misstrauen. In der Stadt waren, per Default, erst einmal alle Menschen Fremde. Auf ein bekanntes Gesicht zu treffen, war die Ausnahme.
Diese kostbare Anonymität stand von Beginn an im Konflikt mit staatlichen Aufgaben. Es musste ein Kompromiss gefunden, ein Deal geschlossen werden. Auch früher schon wurde dieser Deal nicht immer eingehalten, wurde von hoheitlicher Seite geschnüffelt, vom Bürger geschummelt. So ist auch nicht verwunderlich, dass Geheimdienste, aber auch parlamentarisch überwachte Institutionen, heute im Rausch der neuen Möglichkeiten der globalen Kommunikation reihenweise der Versuchung erlegen sind, nach allen Informationen zu greifen, die verfügbar sind. Die Dauer der Schreckstarre der öffentlichkeit nach dessen Enthüllung verwundert allerdings mittlerweile schon.
Stärker noch als der Drang nach physischer und Redefreiheit variiert der Bedarf an Privatsphäre stark von Individuum zu Individuum. Auf der einen Seite verstecken sich Personen vor der öffentlichkeit mit geradezu paranoider öffentlichkeitsscheu. Andere wiederum gefallen sich darin, ein öffentlich einsehbares Leben zu führen – mit all den Informationen, die sie damit über sich verbreiten.
Auch hier kann es also nur um die Festlegung von Mindeststandards gehen. Auch wenn das einmal erreicht werden sollte, werden sie nicht jedem reichen.
Stellen wir uns einmal vor, wir wollten unsere Forderungen an die Welt, etwa in Form der Vereinten Nationen, stellen – wie müssten diese dann aussehen?
Grundsätzlich sollte gelten, so unsere Forderung, dass die Informationen über eine Person eben dieser Person gehören. Nur sie kann den Gebrauch dieser Informationen durch Dritte autorisieren.
Viele Dienstleistungen in einer modernen Gesellschaft können nicht gegenüber anonymen Abnehmern erbracht werden. Sie erfordern Kenntnis einiger Attribute dieser Person.
Auch hier sollte gelten, dass grundsätzlich die Person, den Gebrauch dieser Daten - gebunden an diese Dienstleistung - frei gibt. Dabei kann diese Einwilligung aus Gründen der Machbarkeit und Effizienz durchaus implizit durch Inanspruchnahme der Dienstleistung geschehen.
Grundsätzlich ist hier die Einhaltung eines Minimalprinzips zu fordern: Nur die Informationen dürfen erhoben, verwendet und gespeichert werden, die für die Erbringung der konkreten Dienstleistung erforderlich sind. Und sie dürfen auch nur so lange vorgehalten werden, wie es notwendig ist.
Damit ist auch eine Weitergabe an Dritte, ein Verkauf und eine Nutzung – ob kommerziell oder nicht – für andere Zwecke, als den autorisierten, ausgeschlossen.
Diese Prinzipien gelten nach dieser Vorstellung universell, also auch für Betreiber von Suchmaschinen, sogenannten sozialen Netzwerken oder anderen Kollaborationsplattformen.
Und diese Prinzipien gelten auch gegenüber Informationen, die gestreut über Orte und Zeiten bereits einmal von der Person selber publiziert worden sind. Deren Sammlung und Verdichtung, erzeugt aus Daten, Informationen und daraus, wiederum Wissen über die betreffende Person. Diese Aggregationen und Analyseergebnisse fallen mithin ebenfalls unter die persönliche Datenhoheit.
Um das Eigentumsrecht an Informationen über die eigene Person ausüben zu können, ist ein weiteres Recht erforderlich: Ein Auskunftsrecht. Vertragspartner, die, um Leistungen zu erbringen, Informationen über eine Person halten, müssen auf Anfrage jederzeit Auskunft über ebendiese Informationen geben können.
Auf Wunsch sind diese dann gegebenenfalls zu löschen. Natürlich kann eine solche Forderung, vorzeitig ausgesprochen, zum Abbruch einer Geschäftsbeziehung und schließlich auch zu Schadensersatzforderungen führen. Diese sekundären Rechtsfolgen sind jedoch als nachrangig gegenüber dem „Grundrecht“ auf persönliche Datenhoheit zu sehen.
Prinzipiell hat dieses Verhältnis gegenüber Dritten auch gegenüber Staaten zu gelten. Dieser wird in diesem Sinne als gewöhnlicher Vertragspartner eingestuft. Als dieser kann er allerdings das Recht auf Vertragsfreiheit geltend machen und gegebenenfalls Dienstleistungen (beispielsweise eine Visa-Erteilung oder ein Grenzübertritt) ablehnen, falls die Person nicht bereit ist, ausreichend Informationen über sich selber bereit zu stellen.
Anders stellt sich das Verhältnis nur gegenüber dem eigenen Staat dar, dem wir kollektiv das Gewaltmonopol übertragen haben. Um seine damit verbundenen Aufgaben wahrnehmen zu können, benötigt er gelegentlich, etwa im Zuge gerichtlicher Ermittlungen oder bei polizeilichen Maßnahmen, auch ohne die Einwilligung der betroffenen Person über das „übliche Maß“ hinausgehende Informationen. Damit hierbei Missbrauch weitgehend ausgeschlossen werden kann, muss dieser erweitere Informationszugriff einer richterlichen Genehmigung im Einzelfall bedürfen.
Diese Forderung erscheint derart natürlich, dass sie in vielen Rechtssystemen bereits verankert ist. Hier sind eher Wege zu finden, die praktische Umsetzung sicherzustellen und die Vorgänge für die Beteiligten transparent zu halten.
Zusammenfassend stellen wir folgende Forderungen an die Rechtssysteme aller Staaten dieses Planeten …
- Ownership - Das Individuum ist der Eigentümer seiner persönlichen Daten
- Control & Consent - Als Eigentümer hat er die Kontrolle über seine persönlichen Daten. Eine Verwendung durch Dritte bedarf seiner Zustimmung.
- Minimal Disclosure & Constrained Use - Dabei dürfen nur die für die Erfüllung des beabsichtigten Zwecks erforderlichen Daten verwendet werden und das auch nur während des vorgesehenen Zeitraumes.
- Justifiable Parties - Einem Dritten für einen Zweck freigegebene persönliche Daten dürfen nur den damit notwendigerweise befassten Parteien verfügbar gemacht werden.
- Transparancy - Werden Daten über ein Individuum von einem Dritten gehalten, so hat dieses Individuum das Recht auf jederzeitige Auskunft über die Art der Informationen und deren Verwendung. Die dazu erforderlichen Mittel müssen ihm in zumutbarer Weise zur Verfügung gestellt werden.
- Revocation - Das Individuum kann Dritten jederzeit eine einmal erteilte Zustimmung zur Haltung ausgewählter persönlicher Daten wieder entziehen.
- Judicial warrant – Wenn Stellen mit hoheitlichen Rechten in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegenüber dem Individuum einen erhöhten Bedarf an persönlichen Daten haben, bedarf es einer richterlichen Anordnung, um diesen Zugriff zu gewähren.
Wir halten es für erforderlich, diese Grundsätze in entsprechenden nationalen Gesetzen zu verankern, um damit die für eine freie und aufgeklärte Bürgergesellschaft erforderlichen Bürgerrechte auch im digitalen Raum sicher zu stellen.
Denn aus der Zusammenschau verschiedener personenbezogener Daten lassen sich Informationen gewinnen und daraus wiederum Wissen über eine Person.
Wissen aber ist Macht.
Und Wissen über Personen ist Macht über Personen.
Die Verfügungsgewalt über die eigenen Informationen gehört also in die Hände ebendieser Personen.
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