My near philosophical musings about the world in general its problems and possible ways out.

2019-06-11

Die Generation "No Future"


Alte Klagen

"Die Kinder von heute lieben Luxus; sie haben schlechte Manieren, sie missachten die Autorität; sie haben keinen Respekt mehr gegenüber den Alten und hängen lieber herum statt tätig zu sein. Die Kinder von heute sind Tyrannen, nicht mehr die Diener ihrer Haushalte. …”

Diese Worte werden Sokrates (469-399 v. Chr.)  zugeschrieben. Seither, und vermutlich sogar beginnend schon seit vor dieser Zeit, nehmen die Klagen über den gefühlten moralischen Verfall der jeweiligen zeitgenössischen Jugend kein Ende.


Simple Logik legt allerdings nahe, dass der moralische Wert - wie auch immer er im Kontext der jeweiligen Periode definiert worden sein mag - nicht über 100 Generationen hinweg ständig abgenommen haben kann. Inzwischen wären wir alle zu asozialen Kretins geworden. Vielmehr scheinen die Alten, die sich da beschweren, mit ihrer subjektiven Wahrnehmung völlig falsch zu liegen. 


Zumindest scheinen sie vergessen zu haben, dass sie selbst einmal jung waren und voller Ideale, Wünsche - und Unsinn.


Woher nehmen sie sich überhaupt das Recht, sich auf diese Weise zu beschweren? Kann man die jetzige ältere Generation, oder die Generationen davor, wirklich als leuchtendes Vorbild nehmen, dem junge Männer und Frauen folgen sollten?


Eine nähere Betrachtung liefert vielmehr ein verheerendes Bild. Selbst wenn wir die starken Männer, die auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch sind, beiseitelassen. Auch wenn wir nicht berücksichtigen, dass Retro-Politik oder gar Paläopolitik selbst in einigen großen westlichen Ländern das politische Bild beherrscht. Nehmen wir zum Beispiel ein europäisches Land wie Deutschland, das international in jeder Hinsicht als moderat angesehen wird, oder Frankreich, das vorgeblich versucht, einen Neustart zu wagen. Nehmen wir Schweden, Kanada - nicht die USA. Arbeiten ihre Regierungen wirklich im Sinne des langfristigen Erhalts menschlichen Lebens auf diesem Planeten?


Lassen Sie es mich offen sagen: Ich bezweifle das. Hauptantrieb der Verantwortlichen ist vielmehr ihre Wiederwahl (in Demokratien) oder der Machterhalt unter allen Umständen an (unter autoritären Regimes). Ich werde diesen Abschnitt kurzhalten, da ich bereits zuvor an  anderer Stelle über diese grundlegenden Fehler im politischen System nachgedacht habe. Vielleicht ist es ihnen auch gar nicht möglich, anders zu handeln. In der Konsequenz sind ihre Handlungen jedoch weit davon entfernt, verantwortungsbewusst zu sein.


Sie handeln, als hätten sie keine Kinder, keine Enkelkinder, keine Zukunft.


Zumindest scheinen sie ihnen egal zu sein. Sie opfern die Zukunft der Menschheit rücksichtslos für ihre kurzfristigen Gewinne in der Gegenwart. Für sie kann es immer noch gut funktionieren. Es sind die kommenden Generationen, die dafür einen schrecklichen Preis zahlen müssen.

Nachweise gefällig?

Da es ausreichend Beweise dafür gibt, dass die Party einmal zu Ende gehen wird, beschränke ich die Anzahl der Indikatoren für drohende Katastrophen willkürlich auf nur sieben...

1. Überbevölkerung

Die aktuelle Weltbevölkerung im April 2019 überschritt knapp die 7,7-Milliarden-Marke. Bis zur Zeit Napoleons gab es auf der Erde weniger als 1 Milliarde Menschen gleichzeitig. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir alle 12-15 Jahre eine Milliarde Menschen zur Weltbevölkerung hinzugefügt. Unsere Bevölkerung ist heute mehr als doppelt so groß wie 1970. Die Weltbevölkerung wächst derzeit um mehr als 80 Millionen pro Jahr. Die Geburtenrate, die mehr als  doppelt so hoch ist wie die Sterblichkeitsrate, wenn wir nichts unternehmen, wird sie höchstwahrscheinlich für den Rest dieses Jahrhunderts weiter steigen. Es wird erwartet, dass sich die Wachstumsrate innerhalb weniger Generationen abflachen wird, was zu einer Sättigung der gesamten Weltbevölkerung bei etwa 10 Milliarden bis 2050 führt.

Angesichts unseres aktuellen technologischen Standes, unserer Ambitionen und sogar nur unserer physischen Bedürfnisse erscheint es zweifelhaft, dass die Menschheit an dieser Stelle eine langfristig nachhaltige Existenz aufrechterhalten kann. Vielleicht sind wir  schon zu viele.

2. Das sechste Artensterben

Paläontologen haben entdeckt, dass es im Laufe der Erdgeschichte (mindestens)  fünf Massensterben gegeben hat, die große Teile des gesamten Lebens auf diesem Planeten vernichtet hatten. So gingen am Ende der geologischen Perioden …


  • Ordovizium, vor 444 Millionen Jahren, 86%,


  • Devon, vor 375 Millionen Jahren, 75%,


  • Perm, vor 251 Millionen Jahren, 96%,


  • Trias, vor 200 Millionen Jahren, 80%, und


  • Kreide, vor 66 Millionen Jahren, 76%


  • … aller Arten verloren. Das sechste Aussterben, diesmal jedoch von Menschenhand, ist nun in vollem Gange. Laut dem  Global Environment Outlook 6 der Vereinten Nationen ist seit 1970 die Wirbeltierpopulation um rund 60 % zurückgegangen. Derzeit sind zwischen 25% und 42 % der wirbellosen Tiere, wie z.B. Insekten, vom Aussterben bedroht. Das Verschwinden von Insekten stellt eine besondere Bedrohung für die Nahrungsmittelerzeugung dar. Aber dies ist nicht die einzige Bedrohung, die sich direkt auf die menschliche Nahrungsversorgung auswirkt: Ein Drittel der Landfläche des Planeten gehört heute zur Kategorie "degradierte Böden"; in den letzten 50 Jahren sind 40 % der Feuchtgebiete der Welt verschwunden. Erwärmung und Überfischung gefährden die Lebensgrundlage von über drei Milliarden Menschen, die auf Fisch als wichtigste Nahrungsquelle angewiesen sind.

    So ist wahrscheinlich auch die eher unangenehme Perspektive eines Planeten, dessen Biomasse hauptsächlich aus Menschen besteht, die auf einem riesigen Müllhaufen auf einem weitgehend verwüsteten Planeten leben, nicht pessimistisch genug. Vielmehr können wir selbst schwer betroffen sein, wenn wir ignorieren, dass auch wir Menschen nur als Teil eines funktionierenden Ökosystems überleben können.

    3. Verbrauch endlicher Ressourcen

    Der Ressourcenverbrauch steigt parallel zum Bevölkerungswachstum und exponentiell mit dem viel gepriesenen Wohlstand. Nicht nur die oft erwähnten "seltenen Erden" könnten knapp werden. Auch die landwirtschaftliche Fläche kann nicht beliebig vergrößert werden. Eine "grüne Revolution" kann wahrscheinlich nur ein- oder zweimal wiederholt werden. Die Böden bauen sich ab, sind erschöpft. Selbst Wasser für die Landwirtschaft und für den unmittelbaren menschlichen Konsum wird zu einem knappen Gut. Man wird es nicht gerne hören. Aber viele dieser Ressourcen sind begrenzt. Sie können nicht reproduziert werden. Der technische Fortschritt kann die Grenzen noch ein wenig weiter verschieben, wie das Beispiel der "Peak Oil" Theorie zeigt. Dies ändert jedoch nichts an dem grundlegenden Problem der endlichen Ressourcen.

    Dennoch sieht es so aus, als wären wir nie weiter von einem globalen Management der knappen Ressourcen als Voraussetzung für unser Überleben entfernt gewesen. Vielmehr scheint die Ressourcenknappheit zu einer Hauptquelle für geopolitische Risiken und daraus resultierende Konflikte zu werden.

    4. Wirtschaftliche Ungleichheit

    Weltweit wächst die wirtschaftliche Ungleichheit der Menschheit. Wenn sie nicht zumindest bis zu einem gewissen Grad begrenzt ist, wird sie schließlich alle soziale Ordnung zerstören. Historische Überlegungen lehren uns, dass nur katastrophale Ereignisse wie Kriege, Epidemien oder Revolutionen die Macht hatten, Ungleichheiten wieder auszugleichen. In "ruhigen" Perioden wie dem aktuellen Jahrhundert der US-amerikanischen Welthegemonie driftet der Reichtum der wirtschaftlich handelnden Individuen wieder auseinander.

    In den USA leben bereits mehrere "Stämme" ohne jeden Kontakt Seite an Seite neben einander. Gelegentlich bekämpfen sie sich auch gegenseitig. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Er führt zu Isolationstendenzen. Die Globalisierung der 90er Jahre bricht vor unseren Augen zusammen. Sie war nie mit einem fairen Welthandel zu verwechseln. Vielmehr wurde sie als Herrschaftsinstrument zur Umsetzung hegemonialer Bestrebungen eingesetzt.


    Dennoch hat sie zu Interdependenz und Austausch geführt. So zerfällt die erhoffte globale Gemeinschaft in immer autoritärere Machtblöcke und Interessenbereiche zu einer Zeit, in der Gemeinschaftsaktionen regionale und globale Katastrophen vielleicht noch abwenden könnten. Diese Hoffnung ist nun verschwunden.

    5. Klimakrise

    Zu diesem Hauptthema ist bereits viel geschrieben worden. Sie kann hier daher knapp abgehandelt werden. Die Klimakrise steht weiterhin ganz oben auf der Liste unserer wichtigsten Anliegen. Selbst Paläopolitiker wie Donald Trump leugnen nicht mehr, dass der Klimawandel gerade jetzt vor unseren Augen stattfindet. Das bedeutet aber nicht, dass diese für sie eher neue Erkenntnis in sinnvolle Maßnahmen gegen den unaufhaltsamen Wandel mündet. Im Gegenteil, seine Regierung  plädiert für veraltete traditionelle Energiequellen und verurteilt gleichzeitig die Erzeugung erneuerbarer Energien als ineffektiv und sogar  gefährlich.

    6. Wachstumsökonomie

    Es ist ein unbestrittenes Dogma unter den Mitgliedern der herrschenden Klassen in allen Ländern, die ich kenne, dass die Wirtschaft wachsen muss - je mehr, desto besser. Wie lange kann das noch so weitergehen, unendlich lange? Vielleicht sollten wir die führenden Schulen von Ökonomen daran erinnern, dass wir am Ende auf einem endlichen Planeten leben. Wenn man diesem Gedanken in Kombination mit der Aussicht auf ein schließlich abflachendes Bevölkerungswachstum folgt, dürfte Produktivitätssteigerung der noch verbleibende Treiber für ein Wirtschaftswachstum sein.

    Geprägt von einer Zeit, in der unendlich weiter gehender "Fortschritt" die Grundannahme für alle unsere weiteren Überlegungen war, halten bisher nur wenige Akademiker eine Nullwachstumswirtschaft für wünschenswert oder sogar auch nur für möglich. Die Perspektive einer stationären Wirtschaft scheint jedoch nur eine logische Konsequenz zu sein, wenn wir das Ziel der Erhaltung des menschlichen Lebens auf der Erde ernsthaft verfolgen. Ich denke, es ist an der Zeit, neue  nachhaltige Wirtschaftsmodelle von der Wissenschaft zu fordern.

    7. Konfliktpotenzial

    Wie es zu erwarten war, mehren sich die Hinweise, dass Ressourcenknappheit, ebenso wie die  Überbevölkerung den Wettbewerb um ebendiese Ressourcen antreibt. Damit  schafft sie Konfliktpotenzial. Laut "
    The Global Risks Report 2019, 14th Edition" des Weltwirtschaftsforums nehmen die geopolitischen Risiken zu. In seinem Vorwort fragt der Autor rhetorisch:


    "Steuert die Welt schlafwandelnd auf eine Krise zu? Die globalen Risiken nehmen zu. Der gemeinsame Wille, sie anzugehen, scheint aber zu fehlen. Stattdessen verhärten sich die Fronten. Der im letztjährigen Global Risks Report festgehaltene weltweite Trend zu einer neuen Phase stark nationalstaatenzentrierter Politik hat sich 2018 fortgesetzt. Die Idee der "Rückgewinnung der Kontrolle" - sei es im Inland von politischen Rivalen oder extern von multilateralen oder supranationalen Organisationen - findet in vielen Ländern und bei vielen Themen Anklang. Die Energie, die nun für die Konsolidierung oder Wiederherstellung der nationalen Kontrolle aufgewendet wurde, schwächt die kollektiven Reaktionen auf neue globale Herausforderungen. Wir driften immer tiefer in globale Probleme hinein, von denen wir uns immer schwerer befreien können."

    Offensichtlich marschieren unsere politischen Führer gemeinsam in die falsche Richtung. Das tun sie nur bedingt willentlich und  aus eigenem Antrieb, wie wir einräumen müssen. Dennoch ist es an der Zeit, geeignete Gegenkräfte zu mobilisieren.

    Wo bleibt der Widerstand?

    Aber wo sind die jungen Leute, die später die Rechnung bezahlen müssen?
    Lassen sie es einfach geschehen? Glauben sie überhaupt noch den kaum verborgenen Plänen der unehrlichen Eliten? Sind sie bereit, sich instrumentalisieren zu lassen? Haben sie noch Hoffnung, obwohl sie es besser wissen sollten? Oder haben sie innerlich bereits aufgegeben und spielen einfach apathisch ihre Rolle im Endzeitspiel? Haben sie sich trotzig, verzweifelt in den Kokon eines kleinen, privaten Lebens zurückgezogen?

    Eines kann man mit Sicherheit sagen: Rebellisch sind sie sicherlich nicht.

    Natürlich gibt es einige ikonische Ausnahmen, die seit einiger Zeit bekannt sind und von den Medien und möglichen Interessengruppen protegiert werden. In einigen Fällen wurden ihnen Preise verliehen, sie mit öffentlichen Ehrungen ruhiggestellt, als gut dosierte Opposition in ein ebenso gut funktionierendes System eingefügt. Die Aufgabe, die ihnen dann übertragen wird, besteht darin, den Verantwortlichen Glaubwürdigkeit zu verleihen und all denen, die weiter Zweifel haben, zu versichern: Schaut, Leute, wir nehmen euch ernst, wir hören zu, ihr habt euren wichtigen Platz in der Gesellschaft - und dann machen wir weiter wie bisher. Wie auch immer, die Show muss weitergehen.

    Lassen Sie uns nach dem Zufallsprinzip ein paar Beispiele auswählen und vorstellen, repräsentativ für all die anderen, die es nicht ins öffentliche Bewusstsein geschafft haben. Aber auch sie wurden und werden schnell wieder Opfer einer öffentlichen Amnesie.

    • Malala Yousafzai, eine prominente pakistanischer Aktivistin vom Paschtu-Stamm, die sich für das Recht auf Bildung für Mädchen einsetzte. Im Jahr 2014 wurde sie mit dem  Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sie ist damit eine der jüngsten Nobelpreisträgerinnen aller Zeiten. Zwei Jahre zuvor musste sie für ihren Aktivismus fast mit dem Leben bezahlen, als sie bei einem Attentatsversuch von einem Schützen der sogenannten Taliban beinahe erschossen wurde.

    • Emma González, eine amerikanische Aktivistin und Befürworterin der Waffenkontrolle. Als High School Senior überlebte sie im Februar 2018 die Schießerei an der Stoneman Douglas High School in Parkland, Florida. Als Reaktion darauf gründete sie die Waffenkontroll-Aktivitätsgruppe  Never Again MSD. Ihre berührende  Rede ist es immer noch, oder gerade jetzt, wert, gehört zu werden.

    • Greta Thunberg, eine 15-jährige schwedische Schülerin, ist seit einiger Zeit in den Schlagzeilen, weil sie den Schulbesuch verweigerte, um Politiker dazu zu bringen, auf die drohende Klimakrise zu reagieren. Ihr Handeln erregte tatsächlich weltweite Aufmerksamkeit. So inspirierte sie weltweit Schüler, an Schülerstreiks teilzunehmen.
    Alle drei ausgewählten Aktivisten sind Mädchen. Ich bin mir nicht sicher, ob das nur ein Zufall ist. Jede von ihnen ergriff Maßnahmen aus einem anderen Grund, um verschiedene Missstände, Katastrophen und Bedrohungen zu bekämpfen. Alle gemeinsam haben sie eine begrenzte Wirkung auf den Lauf der Welt, während die globalen Gesellschaften mit hoher und sogar zunehmender Geschwindigkeit in die Sackgasse rasen.

    Noch eine Bemerkung zur letzten Person in der Liste, die dabei ist, eine internationale Bewegung zu begründen: Man mag vielleicht nicht darauf vertrauen, dass die Schüler, die den Schulunterricht schwänzen, einen nachhaltigen Einfluss auf den Lauf der Welt haben. Auch ist es leicht, sie zu kritisieren. Sie halten jedoch ein wertvolles Element in ihren Händen: die moralische Legitimität. Wer, wenn nicht sie, die sie später die Last des "unerbittlichen Unvorhergesehenen" tragen müssen, hat das Recht, sich gegen die vorherrschende politische Ignoranz zu stemmen?


    Der dümmste aller Einwände, ein Schuss, der auch sofort nach hinten losging, wurde vom Vorsitzenden der Deutschen Liberalen Partei (FDP), Christian Linder, vorgebracht. Er erklärte ernsthaft, dass die protestierenden Studenten so komplizierte Dinge wie Aktionen gegen den Klimawandel den Profis überlassen sollten. Damit meinte er höchstwahrscheinlich in erster Linie sich selbst. Machen wir es uns noch einmal klar, was einen Profi vom Rest der Welt unterscheidet: Er macht seine Arbeit nicht aus eigener Überzeugung, wie es ein Amateur täte, sondern als Beruf, also für Geld.


    Es sind genau diese Fachleute, die die Welt an den Rand des Abgrunds geführt haben. In ihrer Hybris haben sie auch noch die Chuzpe und Arroganz, uns zu sagen, dass wir bitte weiterhin den Bock zum Gärtner machen sollen – wieder einmal. Für wie dumm halten sie uns? Nun, offenbar für sehr dumm.

    Überlegung

    Ok Leute, nachdem Ihr das alles gelesen habt, was genau sollte jetzt getan werden, kann getan werden? Da Aufgeben definitiv keine Option ist, muss nämlich etwas getan werden. Es müssen sehr schnell einige drastische Maßnahmen ergriffen werden. Die Zeit läuft uns davon - wenn es nicht bereits zu spät ist. Müssen wir eine neue politische Partei gründen, eine, die besser ist als die bestehenden? Sollten wir unsere Bedenken energisch in die etablierten politischen Kanäle einbringen? Sollten wir weiter protestieren, bis die von uns Verantwortlichen endlich zur Besinnung kommen?

    Nun, vielleicht muss all das getan werden. Natürlich sind Korrekturmaßnahmen notwendig, auch überfällig. Aber zuerst muss die Welt durch eine klare und kraftvolle Botschaft bewegt werden. Auf die müssen wir uns zunächst einigen. Dann müssen wir die Botschaft global verbreiten.


    "Think global, act locally" scheint mir mehr als ein nur ein Schlagwort für das Bullshit-Bingo Spiel zu sein. Eher sollten wir es als Gebot betrachten.

    Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die derzeitigen großen Herausforderungen ihrer Natur nach aus global sind. Sie betreffen uns weltweit.

     Sie werden nicht durch eine einzige heroische Handlung eines einzelnen verantwortungsbewusst handelnden Staates oder einer einzelnen Region gelöst werden können, sondern nur durch eine gemeinsame globale Anstrengung.

    Andererseits unterscheiden sich die Rahmenbedingungen für politische Aktivitäten je nach den lokalen Gegebenheiten. In Demokratien könnte tatsächlich eine neue politische Partei das Mittel der Wahl sein. In Ländern unter autoritärer Führung müsste eine Art ziviler Ungehorsam der Mehrheit den Boden für einige aufgeklärte Aktivitäten bereiten.

    Mein Ratschlag ist, zweigleisig zu fahren:

      1. Sammeln & Bekennen,
      2. Agitieren & Handeln

    Warum das Ganze? Warum sollten wir unsere Kräfte bewusst schwächen, indem wir sie auf mehrere Einheiten aufteilen?


    Lasst mich kurz erklären, was ich meine …


    Das politische Tagesgeschäft kann manchmal stressig und turbulent werden. Die Akteure, besonders wenn sie sich noch in der Anfangsphase befinden, erleben allzu leicht den Druck der etablierten Kräfte. Gelegentlich mögen sie versucht sein, nachzugeben, „faule Kompromisse“ einzugehen, nur um ein kleines Stück ihrer ursprünglichen, noblen Absicht zu retten, kurz gesagt: von den Prinzipien abzuweichen, die sie sich einst selbst auferlegt haben, und sie damit zu verraten.


    Auch, wie bereits erwähnt, sind politische Aktionen, zumindest heute, ihrer Natur nach lokal, während die Prinzipien global gelten müssen, um ein nachhaltiges Leben auf der Erde zu ermöglichen. Und schließlich müssen nicht nur unsere Grundhaltungen angepasst, die politischen Programme neu gestaltet, unsere Ziele neu ausgerichtet werden. Die Funktionsweise der Politik selbst muss sich grundlegend ändern, um mit unseren menschlichen Schwächen besser umgehen zu können. Denn die haben es bis heute geschafft, selbst den edelsten Absichten den Schwung zu nehmen. Aber mehr dazu weiter unten in diesem Text.


    Daher halten wir es für klug, die Vision von deren Verwirklichung, die Prinzipien von der Politik im Tagesgeschäft und die Regelfindung  von der Regelausführung zu trennen, genau wie die Legislative und die Exekutive in einem ordnungsgemäß regierten Staat gut getrennt sein sollte. Grundsätze und Regeln sollten besser von einer separaten Organisation ausgearbeitet und aufrechterhalten werden, die nicht von den Härten und irrlichternden Versuchungen des politischen Alltags ausgesetzt ist.

    Sammeln & Bekennen

    Um auch nur die geringste Wirkung zu entfalten, müssen wir zuerst sehr viele werden. Das heißt, wir müssen alle diejenigen um uns versammeln, die sich zur Gruppe einer Art Weltbürger zugehörig fühlen. Nennen wir diese Gruppe vorerst provisorisch die  Weltbürgerliga. Der ganze Zweck dieser Organisation besteht darin, diese Grundsätze und Regeln zu definieren, zu verfeinern und zu veröffentlichen. Das ist alles – sonst nichts, aber auch nichts anderes.

    Zweitens sollten wir uns auf einige Grundprinzipien einigen. Einige davon sollten unveränderlich sein, andere auf einer niedrigeren Ebene, so grundlegend, dass sie nur durch das Votum einer Zweidrittelmehrheit geändert werden können. 


    Darunter werden die Grundsätze angeordnet, deren Gestaltung für Diskussionen offen bleibt und deren Änderung durch ein einfaches Mehrheitsvotum möglich ist.


    Drittens sollten wir uns öffentlich zu diesen selbst auferlegten Prinzipien bekennen und geloben, danach zu handeln.
    Sollten wir diese drei erklärten Ziele erreichen, werden wir eine Stimme schaffen, die gehört werden muss und nicht mehr ignoriert werden kann.

    Agitieren & Handeln

    Politische Aktivisten, Interessengruppen, Parteien können sich dann auf diese Weltbürgerprinzipien beziehen, sie in ihre Programme und Agenden aufnehmen und lokal umsetzen, wie es zentral aus der globalen Perspektive nicht möglich wäre.

    Dieses Kapitel werde ich bewusst kurz halten. Denn nach meiner obigen Aussage können wir hier nicht viel darüber sagen, wie wir diese Prinzipien in wirksames Handeln umsetzen können. Allerdings werden die Prinzipien auch die zu ergreifenden Maßnahmen beeinflussen. Denn sie beziehen sich nicht nur auf die politische Botschaft. Sie geben auch Hinweise auf die Durchführung politischer Operationen.

    Grundsätze

    Verbindliche Grundsätze

    #1. Nachhaltiges Leben

    Prinzip: Alle unsere bewussten menschlichen Aktivitäten müssen sich in ein nachhaltiges Modell des Zusammenlebens untereinander und mit allen anderen Lebewesen dieses Planeten einfügen, das am besten geeignet ist, ein langfristiges Überleben der Menschheit zu gewährleisten.

    Begründung: Die Sicherung des Fortbestands der Menschheit ist das alles dominierende Ziel. Daneben kann es keine anderen gleichrangigen Ziele geben, sondern nur Voraussetzungen und abgeleitete Ziele. Eine selbstverständliche Voraussetzung ist die Erhaltung oder Wiederherstellung einer gesunden und nachhaltig bewohnbaren Umwelt. Wir müssen also jeder  nicht nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit ein Ende setzen. Alle anderen Ziele haben einen niedrigeren Rang und müssen dem grundlegenden Überziel #1 untergeordnet werden.

    #2: Wahrung der bürgerlichen Freiheiten

    Prinzip: Wir folgen dem Prinzip #1 mit größter Sorgfalt und wahren dabei so viele der bürgerlichen Freiheiten des Einzelnen wie möglich, ohne dem Prinzip #1 zu schaden.

    Begründung: Um die Plünderung dieses Planeten zu stoppen und den Schaden, der bisher bereits entstanden ist, zu beheben, bedarf es sicherlich einer großen gemeinsamen Anstrengung. Es ist schwer vorstellbar, dass sich alle Menschen auf diesem Planeten freiwillig dieser gigantischen Initiative anschließen wollen. Dennoch müssen wir global als Gemeinschaft handeln. Das bedeutet, sich viel besser zu organisieren und stärker zu disziplinieren, als es jemals außerhalb streng autoritärer Regimes der Fall war. Da Prinzip #1 im Widerspruch zu Prinzip #2 stehen kann, wird unsere Vision eines freien und selbstbestimmten Lebens damit auf den Prüfstand gestellt werden. Die  bürgerlichen Freiheiten, die wir in Europa und einigen anderen Teilen der Welt besitzen, könnten also durchaus bedroht sein. Wir müssen sicherlich vorsichtig vorgehen, um nicht zu viel von dem zu verlieren, was wir in den letzten 300 Jahren seit Beginn der  Aufklärung in dieser Hinsicht erreicht haben. Aus diesem Grund ist die "Wahrung der bürgerlichen Freiheiten" das einzige sekundäre Ziel, das ebenfalls unter allen Bedingungen unverändert bleiben sollte.



    Grundlegende Prinzipien

    #3: Der Nationalstaat hat sich überlebt.

    Prinzip: Einige wenige supranationale Organe müssen die derzeitigen multiplen Nationalstaaten ersetzen. Letztendlich bleibt ein einziger multinationaler Staat bestehen.

    Begründung: Nationalstaaten, wie wir sie kennen, werden nicht in der Lage sein, sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen erfolgreich zu stellen. Vielmehr müssen wir angesichts der gemeinsamen Herausforderungen auch gemeinsam als eine Gemeinschaft der  Weltbürger denken, fühlen und handeln. Um eine Form der globalen Governance zu erreichen,  müssen mittelfristig einige wenige  supranationale Organe die Vielfalt der derzeit, um die knappen Ressourcen dieses Planeten konkurrierenden Nationalstaaten ersetzen.


    Wir sehen keine Alternative zu einer konsolidierten Weltordnungspolitik, die am Ende es zu einer Staatlichkeit für eine Art föderierter Vereinter Nationen (UN) führt.

    #4: Reduzierung der Weltbevölkerung

    Prinzip: Wir müssen die Weltbevölkerung aktiv managen.

    Begründung: Die Weltbevölkerung ist bei weitem der wichtigste Schlüsselfaktor für ein global nachhaltiges menschliches Leben. Mehrere  Fußabdruckberechnungen, die am besten am jährlichen „ Earth Overshoot Day “ ausgedrückt werden, sowie schlichte Logik, legen nahe, dass es eine Obergrenze für die  Anzahl der Menschen geben gibt, die dieser Planet nachhaltig ernähren kann. Wenn wir den durchschnittlichen Ressourcenverbrauch der wirtschaftlich fortgeschrittenen Länder als globalen Standard zu nehmen, so sagt uns die einfache Logik, dass es  bereits zu spät ist. Wir sind jetzt zu viele Menschen für unseren Planeten. Kurzfristiges Ziel muss es also sein, die Weltbevölkerung deutlich unter der magischen Zahl von 10 Milliarden zu stabilisieren. Langfristig werden wir gezwungen sein, die Weltbevölkerung wieder zu reduzieren. Die maximale nachhaltige Anzahl ist noch unbekannt. Es wird jedoch erwartet, dass sie deutlich niedriger liegen wird als die derzeit nicht nachhaltige Weltbevölkerung. Am Ende dürfte sie nicht viel höher sein als 1 bis 2 Milliarden Menschen.

    #5: Keine Berufspolitiker mehr

    Prinzip: Lassen Sie Maschinen unsere täglichen Angelegenheiten regeln - nach menschengemachten Prinzipien und Regeln.

    Begründung: Politik ist eine zu wichtige Aufgabe, um sie den Politikern zu überlassen. Es besteht zwar Einigkeit darüber, dass der begehrte  mythische starke Führer, der uns aus dem Morast herausziehen und in das gelobte Land führen will, mehr Schaden als Nutzen stiften wird. Aber auch in demokratisch regierten Staaten kümmern sich die gewählten Mandatsträger  nach kurzer Zeit mit überwältigender Mehrheit nur um  ihre eigene Karriere als Politiker. Sie werden dominiert durch die Jagd nach Wählern und parlamentarischen Mehrheiten. Am Ende sind für ihre Parteien und sich selbst eher unbrauchbar geworden. Die Versuchung des Populismus ist ihr ständiger Begleiter. Sie werden Opfer von Lobbyisten oder verlieren schlicht den Kontakt zu den alltäglichen Problemen ihrer ursprünglichen Wählerbasis. In der Unternehmensführung gibt es eine frühe Bewegung, die überlegt, Unternehmen "ohne Manager zu führen" (z.B. Ricardo Semler, dessen  TED Talk viral wurde). 


    Noch immer von der Mehrheit der orthodoxen Gelehrten als esoterisch angesehen, fordern sie, den Begriff "Manager" neu zu definieren und fragen, ob sich die Idee des "Managements", wie sie aus dem Industriezeitalter übernommen haben, überlebt hat. Da das "Agentendilemma" sowohl für Regierungen als auch für Unternehmen gilt, muss den "Fachleuten" die operative Handlungsmacht entzogen und auf Systeme übertragen werden. Lasst die Menschen zur  Metapolitik beitragen. Aber lasst die  Systeme regieren - nicht Politiker.

    #6: Begrenzung der Ungleichheit

    Prinzip: Die wirtschaftliche Ungleichheit muss auf eine Obergrenze beschränkt werden.

    Begründung: "Alle Menschen sind gleich geschaffen", heißt es in der  Unabhängigkeitserklärung der USA. Die Idee wurde aus der  Philosophie der europäischen Aufklärung übernommen. Sie fand ihren Weg ebenfalls in mehrere andere Verfassungen. "Alle Menschen" ist in diesem Zusammenhang in sicher mit der Menschheit gleichzusetzen. Natürlich war es nie die Absicht, alle Menschen „gleich zu machen". Vielmehr geht es darum, ihnen gleiche Chancen zu geben. Aber auch die Chancengleichheit war seit jeher eher  ein Programm oder sogar ein Traum als jemals Realität. Für Ökonomen ist Ungleichheit ein wesentlicher Treiber des Wirtschaftswachstums - je höher die Ungleichheit, desto höher die Wachstumsrate. Tatsächlich scheint die Fähigkeit, sich von anderen zu unterscheiden, eine treibende Kraft zu sein. Uns Menschen dazu zu bringen, große Anstrengungen zu unternehmen, um anders und ungleich zu sein. Diesen positiven Effekten sind jedoch Grenzen gesetzt.


    Ungleichheit, gemessen z.B. nach dem Atkinson-Index von Sir Anthony B. Atkinson, steigt in einem Maße an, in dem sich der Reichtum der Welt in der Hand einiger weniger konzentriert (und wir sind nicht mehr sehr weit davon entfernt). Sie hat das Potenzial, Gesellschaften zu zerreißen. Denn in diesen Gesellschaften können einige wenige „Souverän-gleiche Individuen “ das Schicksal der Massen lenken, in dem sie Wirtschaftsmacht nahtlos in politischen Einfluss verwandeln. In der Wirtschaft sind Märkte sehr effiziente Instrumente - solange jedenfalls wie sie funktionieren. Sie müssen überwacht und reguliert werden, um nicht in die aus dem Ruder zu laufen.


    Außerdem gibt es mehrere Bereiche wie die berüchtigten "natürlichen Monopole " oder begrenzte natürliche Ressourcen, in denen freie Märkte überhaupt nicht funktionieren. In der Geschichte gibt es viele Beispiele für harte staatlich Korrekturmaßnahmen wie Kartellgesetze,  erzwungene Unternehmensteilungen und andere Maßnahmen, um mit diesem Problem umzugehen.


    In ähnlicher Weise müssen wir Maßnahmen zur Begrenzung der Ungleichheit finden, um nicht blutige Revolutionen zu riskieren. Vielleicht können uns Tony Atkinsons 15 Vorschläge eine Orientierungshilfe geben.

    #7: Stationäres Wirtschaften

    Prinzip: Aufbau und Betrieb einer Wirtschaft, die auch bei Nullwachstum in einem gesunden Zustand sein kann.

    Begründung: Wirtschaftswachstum kann nicht mehr das zugrunde liegende Paradigma aller Wirtschaftstheorien sein. Unsere gegenwärtige Wirtschaft ist jedoch auf Wachstum ausgerichtet. Wenn der Konsum in einer Wachstumswirtschaft nachlässt, kommt es zu einer Rezession. Es heißt, dass ein zu geringes Wachstum wirtschaftliche Turbulenzen und Arbeitslosigkeit verursacht. Das kann doch niemand wollen. Das Bevölkerungswachstum ist einer der wichtigsten Treiber für das Wirtschaftswachstum. Aber das Wachstum der Weltbevölkerung muss sehr bald gestoppt und in den kommenden Jahrzehnten bis zu einem gewissen Grad umgekehrt werden. Auch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen wird bald auf die eine oder andere Weise begrenzt sein. Der technologische Fortschritt kann durch Produktivitätssteigerung und die Schaffung neuer Märkte für immaterielle Güter noch Wachstum bringen. Die traditionelle Lehrmeinung muss sich jedoch umstellen und Wege finden, damit umzugehen. Diese Art von Wirtschaft ähnelt sehr wahrscheinlich weniger der aktuell proklamierten Wachstumsökonomie wird, sondern einer Art stationärer Wirtschaft.

    Ein letztes Wort

    Da dieses Papier sicherlich nicht der richtige Ort ist, um die Grundprinzipien, zu denen sich alle Weltbürger verpflichten sollten, vollständig auszuarbeiten, werde ich ihre Zahl auf 7 beschränken. Das sind fundamentale Prinzipien. Sie müssen weiter ausgebaut und über mehrere Ebenen weiter detailliert werden, um schließlich zu ausführbaren Regeln zu gelangen. Eine Ausgewogenheit dieser oft widersprüchlichen Grundprinzipien herzustellen, wird noch eine monströse Aufgabe sein. Es wird jahrelange Arbeit erfordern, die von einer größeren Gruppe engagierter Menschen zu leisten ist.

    Um als Gemeinschaft unsere Zukunft zu gestalten, müssen wir diese Gemeinschaft sein. Niemand sonst wird das tun. Und wir müssen es jetzt tun. 


    Die herrschende Generation ohne Zukunft wird das nicht gerne hören. Aber es ist keine Zeit zu verlieren, wenn wir nicht enden wollen, wie der renommierte australische Wissenschaftler Professor Frank Fenner sagt: " Die Menschen werden in 100 Jahren ausgestorben sein ".


    Also, steh auf, schließ‘ Dich der Gruppe an und verpflichte Dich.


    Horst Walther (horst.walther@worldcitizensleague.org)