My near philosophical musings about the world in general its problems and possible ways out.

2022-04-02

Bird Spotting in Pandemiezeiten

Die Pandemie hat so allerlei zeitweise und vielleicht auch einige bleibende Veränderungen mit sich gebracht. So ist beispielsweise WFH (work from home) gesellschaftsfähig geworden. Galt zuvor der Generalverdacht der typische Lohn-Sklave würde, sobald er sich auf diese Weise vermeintlich erfolgreich der disziplinarischen Aufsicht entzogen hätte, unmittelbar „den Griffel fallen lassen“ und vom Turbo-Gang in den Leerlauf schalten, so hat sich der Krampf des ewigen Misstrauens bei den Micro-Managern eher gelöst.

Nun hatte ich bereits frühzeitig in meiner „Laufbahn“ die Selbstausbeutung der Ausbeutung vorgezogen, also keinen Chef mehr zu haben. Da ich mich nicht mehr als hierarchiefähig empfand, musste ich eben selber das Unternehmen sein. Aber unabhängig davon, ob abhängig oder frei beschäftigt, meine persönliche Erfahrung ist, dass ich unter Wegfall erzwungener Rüst-, Wege- und Leerlaufzeiten deutlich mehr Zeit der beauftragten Arbeit widme, als je zuvor. Zeitweise war es sogar deutlich zu viel.

Da wandert der Blick schon mal durch das Fenster nach draußen, ob vom letzten Zoom-Meeting genervt oder auf den Flügeln der Phantasie, und fällt auf ebenso geflügelte Zeitgenossen, die ihren Sozialdarwinismus außerhalb der Büros dieser Welt ausleben.

Und da rückt es an, das Kohlmeisen Squad: Schwarzes Käppi tief ins Gesicht gezogen, entschlossener Blick, diszipliniert, organisiert, echte No-Nonsense-Typen, suchen sie planmäßig und systematisch und, wie es scheint, zu festen Zeiten in vorgegebener Ordnung die üblichen Nahrungsverdachtsstellen auf. Es scheinen mir auch unübliche dabei zu sein, man weiß ja nie. So hängen sie gern einmal kopfüber unter Fenstersimsen oder Gartenmauervorsprüngen, wo Spinnen und Asseln Schutz vor den Unbillen der Witterung finden – aber nicht vor dem unbeirrbaren Meisenkommando. Der Anführer, ein kräftiger, entscheidungsfreudiger Typ steht über zackige, kurze Kommandos jederzeit im Rufkontakt mit seinem Trupp. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Ihr orientierungsschwachen, verpeilten Team-Leads – hier ist euer Vorbild 😊

Und wenn ich dem Haus-Eichhörnchen die tägliche vorgeknackte Walnuss (reife und hartgetrocknete kann es nicht knacken, muss sie hungrig vergraben, bis sie weich geschmort sind.) an vereinbartem Ort im Versteck hinterlege, dann dauert es nicht lange, bis der KMT (Kohlmeisentrupp) des Standorts zur Inspektion antritt. Kaum habe ich mich auch nur ein bis zwei Meter entfernt, prüft der Truppführer Zugänglichkeit und Zuträglichkeit im heldenhaften Selbstversuch, nachdem er mich zuvor deutlich mit kräftigen Flüchen bedacht hat. Die Kameraden sichern derweil aus dem Hintergrund. Sie kommen anschließend an die Reihe, einer nach dem anderen. Ordnung muss sein.

An genau dieser heiligen Ordnung hatte ich mich einst versündigt und für einige Tage nicht für den pünktlichen beknackten Walnuss-Proviant für die Truppe gesorgt. Als ich dann auch noch unvorsichtigerweise vom Commandante ungetarnt in der Nähe des vereinbarten Übergabepunkts erwischt wurde, flog er todesmutig nah heran, positionierte sich exakt oberhalb des leeren Nuss-Körbchen, blickte genau 3-mal demonstrativ in den unversorgten Proviantkorb, gefolgt jeweils von einem lauten Protest-Pieps und entfleuchte. Das ist noch einmal glimpflich abgegangen. Hochroten Kopfes hatte ich umgehend für Nachschub gesorgt.

Die Entdeckung der energiereichen Winternahrungsquelle macht schnell Schule bei den verspielten Blaumeisen, die kleiner und weniger gut organisiert, laut schwätzend, erst einmal aushandeln müssen, wird denn nun den Vortritt genießen soll. Sogar das Standort-Rotkehlchen, das sich sonst nur für meine bodennahen Aktivitäten interessiert, lässt sich animieren, von dieser nach Rotkehlen-Tradition eher exotischen Kost zu naschen. Na ja, wenn man die Auswahl hat, geht man eben einmal zum Edel-Italiener, lässt sich nach Thai-Art den Gaumen kitzeln oder wagt einen Ausfall in die Experimental-Cuisine.

Das Standort-Rotkehlchen ist ohnehin ein ganz spezieller Charakter. Wenn ich Büsche von innenbetrachte oder in dem Bäumen herumkraxle, hat es nur einen verächtlichen Pieps für mich übrig. Aber wehe, wenn ich den bodennahen Berserker gebe. Jegliche Erdarbeiten bringt es sofort auf den Plan, einen Weg harken ist schon ganz gut, ein Bäumchen pflanzen noch besser. Der Hit aber ist das winterliche Umsetzen des Komposthaufens. Das ist ein wahres Fest, das offenbar schon das ganze Jahr über erwartet wird. Welche Urinstinkte da wohl angesprochen werden?  Vielleicht setzt es mich ja mit einem verspäteten Nachkommen eines Auerochsen oder anderer urzeitlicher Riesen-Rindsviecher gleich, verheißungsvoll insektenumschwirrt. Hmmm, sehr schmeichelhaft. Während ich heftig die Schaufel oder Forke schwinge, begibt sich da so ein kecker Winzling mitten ins Getümmel. „Mädel, wie soll ich denn da arbeiten, wenn du immer zwischen meinen Gummistiefeln herumhüpfst?“ Ich muss gestehen, dass die Geschlechtsvermutung reine Spekulation war – es schien mir halt so. Da baut es sich nur vor mir auf und fixiert mich mit einem Blick der irgendetwas zwischen Selbstbewusstsein und Renitenz transportiert. Bestenfalls ernte ich einen spöttischen Zug um den Schnabel. Dem Fotografieren aber entzieht es sich bei aller unvermeidbaren, kurzfristigen Nähe mit einem bedeutungsvollen Hinweis auf die strafbewehrte DSGVO und entfleucht. Kein Wunder, dass ich es nicht bis zur Herrlichkeit eines führungsstarken Managers eines DAX-Unternehmens gebracht habe, wenn ich mich bereits von so einem kleinen Piepmatz vorführen lasse.

Eigentlich komme ich erst bei tropischem Wetter so langsam auf eine optimale Betriebstemperatur. Nach einem kalten und dunklen Winter aber, verleiten mich bereits wenige verhaltene Sonnenstrahlen zu allerlei waghalsigen Außeneinsätzen bei deutlich unterkühlten Bedingungen. Neben der Hypothermie drohen aber noch ganz andere Gefahren. Mit den ersten zarten Frühlingsboten sind die Amselhähnchen völlig durch den Wind. Kleine, schwarzgefiederte und entsetzlich aufgeregte Flugungeheuer, die Kollateralschäden billigend in Kauf nehmen, wenn sie einander bei erbitterten Revierkämpfen durch die Botanik scheuchen. Wer da nicht aufpasst und sich fahrlässig im Lichtraumprofil der gängigen Einflugschneisen aufhält, muss schon einmal mit einer Flügel-Watschen eines durchgeknallten Flugdrachen rechnen. Der nervenaufreibende Schock eines Near Miss des Schwarzdrossel-Raufbolds ist schon fast Routine. Gladiatorenkämpfe im Hintergarten, fast so spannend wie das Gerangel um den CDU-Parteivorsitz. Ach, ist das aufregend!

Die Schlachten sind geschlagen, die Reviere verteilt, nach Nestbau und Eiablage geht es mit den Brutpflichten ein wenig beschaulicher zu, nur um unvermittelt ungebührliche Hektik umzuschlagen. Erst konnte ich immer nur den Kondensstreifen der rasanten Flugbahn eines Projektils ausmachen, einmal von rechts nach links, dann wieder umgekehrt. Nur wer zu nah an einer Rallye-Strecke steht, muss ähnlich schnell der Wendehals machen. Erst die Zeitlupe stellt den Täter bloß: eine Mönchsgrasmücke im Fütterstress. Laut Webseite des BUND liebt die Mönchsgrasmücke nicht so sehr das Gras, sondern dichtes „Gestrüpp“. Gut, davon haben wir reichlich, und zwar keineswegs aus Fahrlässigkeit, sondern durchaus mit mutwilligem Vorsatz: bed & breakfast für Piepmätze. Und wenn die Terrassen-Flugschneise durch völlig nutzloses und zudem flugunfähiges Zweibeinervolk blockiert ist, wird die Fütterflugbahn halsbrecherisch durch ebendieses Gestrüpp gelegt. Bei diesen elterlichen Kamikazeaktionen wird einem bereits vom Zusehen schwindelig. Was für ein Elternstress, vielleicht nicht der rechte Anblick für junge Freier, die mit dem Gedanken spielen sich einem Weib antrauen zu lassen und eine Familie mit zwei, immer nur lächelnden, kleinen Kindlein zu gründen. Man könnte schließlich ins Grübeln geraten.

Nicht alle gefiederten Dinosauriernachkommen sind so standrottreu. Das sind die Wintergäste auf der geschäftigen Durchreise: Schwanzmeisen, die lautstark in einer großen, geschwätzigen Gruppe im winterkahlen Schlehdorn ihre Reiseabenteuer untereinander austauschen, Goldhähnchen, mit ihrem bunten Irokesenschopf machen hier gelegentlich Rast auf Ihrer Springprozession von Fichtenwald zu Fichtenwald, ebendort hatte sich einmal auch eine Rotte Bluthänflinge eingefunden, die laut NABU „ganz nach Finkenart wellenförmig über uns dahinfliegen“ (ach so), keine Wintergäste, eher Landflüchtlinge, die in unseren systematisch ausgeräumten Fluren nicht mehr leben können. Auch ein Zaunkönigpärchen auf der Suche nach einem kleinen Königreich zieht kleine Marktnischen in den Städten den verödeten landwirtschaftlichen Nutzflächen vor. Ganzjahres Marodeure kommen überall zurecht: Eichelhäher, Elstern und hie und da auch Krähenvolk ziehen plündernd durch die Vorgärten und dann und wann ein weißer Elefant … (nein, das gehört nicht hierher) … Die Krone der Souveränität aber ist der (kleine) Buntspecht, selbstbewusster und unerschrockener Vertreter der werktätigen Massen, fleißig und arbeitsam, aber ohne Sinn für verspielen Firlefanz.

Einen Paradiesvogel haben wir auch. Er ist nicht ganz so standorttreu. Oder er hat einfach ein größeres Stammrevier für seine Eskapaden. Man lässt sich da nicht in die Karten schauen. Als echter Poser versteht es unser Nachbarschafts-Dompfaff, sich überraschend und medienwirksam immer in Sichthöhe in Szene zu setzen. Da strahlt der purpurne Bauch in der Abendsonne, dass den Bystanders der Unterkiefer absackt – baah ey! So einen Schönling darf man natürlich keinen Augenblick aus den Augen lassen. So ist denn auch immer sein unscheinbares, angetrautes Eheweib nie weit. Von der überirdischen Schönheit dieses Gartenjuwels geblendet, entdeckt es nur das trainierte Auge in Near-Field-Entfernung im Geäst. Wir haben es hier nämlich mit einem älteren Ehepaar zu tun, das auf seiner Tournee durch die Gemeinde seit Jahren professionell seine Show abzieht.

Zu den eher schwermütigen Szenen im großen Chor der Gefiederten zählt das Taubendrama, dass sogar in mehreren Wiederholungen gespielt wurde. Die Stadttaube als solche (als was auch sonst?) stammt vermutlich hauptsächlich von verwilderten Haus- und Brieftauben ab, die ihrerseits aus der Felsentaube gezüchtet wurden. Aha, ob sie sich damals auch schon so ungeschickt angestellt hatten? Oder sind die Tollpatsche der Lüfte eher Ergebnis eines dekadenten zivilisatorischen Niedergangs? Ich muss es ja zugeben: Nistplätze sind knapp. Die Wohnraumnot in Stadt und Land ist endemisch und trifft alle. Aber ist das Grund genug seine Brut in ungesicherte, nicht handwerksgerechte Nester zu verfügen? Etwa im Bambushain, wo der nächste Sturm das Gelege samt Schneller Brüter regelrecht herauskatapultiert? Da lag der einst so hoffnungsvolle Nachwuchs nun im Sonnenlicht nach dem Gewittersturm: nackt und leblos. Mangelnde Sorgfaltspflicht beim Hausbau hat schon so manches junge Leben allzu frühzeitig beendet 😞

Ein Early Encounter beim sonntagmorgendlichen Joggen vor Tau und Tag hat mich dem Schwarzwild der Lüfte nähergebracht – oder auch nicht. Saatkrähen begrüßen mich allsonntäglich lässig, abfällig mit ihrem Working Song: „Wir plündern den Müll bis keiner mehr wüll. Unser Häuptling heißt schwarze Joppe. … (zwischendurch konnte ich wegen Dampfertutens nichts verstehen) … gibt es mächtig Kloppe.“ vermeinte ich beim Näherkommen aus ihrem Sprechgesang herauszuhören – auf Kräholisch natürlich. Nur stehenbleiben darf ich nicht. Dann werde ich abschätzig von oben bis unten gemustert: „Was willst Du denn hier, Du Lachnummer? Verp*** Dich mal ganz schnell. Sonst gibt‘s was zwischen die Hörner!

Oh, oh, bin ich nach zwei Jahren „Home-Office“ der rauen Wirklichkeit da draußen etwa nicht mehr gewachsen? Aufgeben aber ist keine Option. Trotzig beginne ich mein persönliches Resozialisierungsprogramm 😊

Hello world, here I come.



1 comment:

Caro Düvel said...

Horst, welch unterhaltsam und schön formulierte ornithologische Beobachtungen. Ob die Vögelschar uns Homeofficewesen ähnlich wahrnimmt? Immerhin räubern wir seit 2 Jahren in ihrem Revier durch ungewohnt häufige Nutzung von Garten, Balkon und Terrasse, das sie früher ganz unter sich aufteilen konnten. Wir ahnen wohl so etwas und versuchen, durch Bereitstellung von allerlei Lockmitteln in Form von Knödeln, Körnern, Zapfen, gut Wetter zu machen, um Akzeptanz und Anerkennung zu bekommen 😊