Deutschland macht in diesen Tagen den Eindruck eines Getriebenen. Die Waffenlieferungen an die Ukraine bleiben Diskussionsthema Nummer eins – zumal Kiew einen Nachschlag fordert. Nach den Panzern die Kampfflugzeuge
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist von den Verbündeten in der NATO, wie auch von der westlichen Presse, viel für seine zögerliche Haltung im Ukraine Konflikt kritisiert worden. Während die Deutsche Außenministerin Annalena Baerbock 2023-01-24 in einem Statement in Straßburg mal eben vom Krieg des Westens gegen Russland spricht, hat sich der Deutsche Bundeskanzler bisher mit starken Worten deutlich zurückgehalten. Er hat vermutlich Gründe dafür. Welche könnten das sein?
Viele Deutsche sind eher unglücklich mit dem Kriegsverlauf in der Ukraine und wünschen sich nichts sehnlicher als einen Friedensschluss. Ein von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer entworfenes Manifest bringt diese Gefühle auf den Punkt. Liegt hier eine Erklärung für das Verhalten des Kanzlers? Vermutlich noch nicht.
Der Blick von außen
Am 23. Februar 2023 schrieb das für seine kritische Einstellung gegenüber der geo-politischen Haltung der US-Regierung bekannte Quincy Institute for Responsable Statecraft:
“Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat zu einem radikalen Wandel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geführt. Dazu gehören Maßnahmen, die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wären, wie die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine.
Dieser Wandel hat jedoch auch zu erheblichen Spaltungen in der deutschen Regierungskoalition und zu Unbehagen in Teilen der deutschen Gesellschaft geführt. Unter den Deutschen, insbesondere in der Industrie, herrscht auch Besorgnis über die Gefahren für die deutsche Wirtschaft, wenn Deutschland den USA darin folgen muss, die Wirtschaft Chinas, die ein wichtiger Markt für deutsche Exporte ist, zu isolieren und zu schwächen.
Diese Fragen sind nicht nur für Deutschland, sondern auch für die Europäische Union und die künftige Kohärenz des transatlantischen Bündnisses von entscheidender Bedeutung.“
Der Blick von Innen
In seinem neuen Buch „Führung und Verantwortung“, das zur etwa gleichen Zeit im Siedler Verlag erschien, skizziert der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, jene Führungsrolle Deutschlands in der Welt, die beispielsweise Sigmar Gabriel für unglaubwürdig hielte (siehe unten), die aber ex-Bundespräsident Joachim Gauck 2014 bereits in München einforderte.
Der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler und Diplomat, ehemaliger Stabschef des EU-Außenbeauftragten Javier Solana und 12-jahrelanger außenpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel meint, dass die Zeit des „Leading from behind“ vorbei sei:
„Die Bundesregierung muss sich bewusstwerden, dass Führung und Verantwortung nicht heißen kann, immer nur als Letzter das Richtige zu tun. “
Ex-Vizekanzler und ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel wagte unlängst in einem Gespräch mit Journalisten die Prognose: „Ich bin relativ sicher, dass die Ukraine Kampfflugzeuge bekommen wird.“
Dann fügte er den entscheidenden Satz hinzu:
„Aber die politische Entscheidung, ob wir uns daran beteiligen, ist keine deutsche: Ich würde dazu raten, die Führung da zu lassen, wo sie ist, nämlich bei den USA.“
In seiner Regierungserklärung lieferte Kanzler Scholz denn auch nur vage Durchhalteparolen wie „Der Weg hin zu diesem Frieden erfordert tapferes Handeln“, aber kaum brauchbare Informationen. Zur Blitzvisite im Weißen Haus waren im Regierungsflugzeug erstmals in seiner Amtszeit Journalisten unerwünscht. Die übliche Pressekonferenz im Weißen Haus entfiel. Für überzeugte Demokraten sollte das ein Warnsignal sein.
Nach einer neuen Führungsrolle in Europa oder gar in der Welt sieht das nicht aus, eher nach Vasallentreue gegenüber einem übermächtigen Hegemonen. Es braucht schon Scheuklappen, um diesen Zustand als die beste der Optionen zu betrachten.
Der Blick über den Tellerrand
Vielleicht gibt es aktuell aber auch keine guten Handlungsoptionen für einen Zwergstaat wie Deutschland – jedenfalls nicht kurzfristig.
Wenn wir einen Deutschen Politiker mit einer nüchternen Einschätzung der Situation und einem klaren Blick auf die Möglichkeiten suchen, müssen wir wohl einige Jahre zurück gehen.
Auf seinem letzten öffentlichen Auftritt auf einem SPD-Parteitag (2011-12-04) wirkte der damals 92-Jährige frischer als mancher Delegierte im Saal. Er wandte sich vehement gegen „die schädliche deutschnationale Kraftmeierei“. Wenn 2050 neun Milliarden Menschen auf der Erde wimmeln werden, wird der alte Kontinent nicht mehr wie 2011 30 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung erbringen, sondern nur noch ein Zehntel dessen. Spätestens dann werde ein Land alleine „nicht mehr in Prozent gemessen, sondern nur noch in Promillezahlen
Hellsichtig fürwahr. Als der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ihn fragte, wann die Bundesrepublik denn endlich ein ganz normales Land in Europa sein werde, war Schmidts Antwort war ebenso kurz wie ernüchternd: „In absehbarer Zeit nicht.“ Nach zwei Kriegen in einem Jahrhundert hätten noch Generationen von Deutschen mit ihrer historischen Last und dem latenten Argwohn in den europäischen Nachbarländern zu leben, prophezeit er.
Diese Gedanken weitergeführt, liegt Deutschlands Rolle eher in einer engen Integration mit den europäischen Nachbarländern, die eine gesellschaftliche Prägung erfahren haben, die gleiche Werte in ihrer Firmware tragen. Ein Rütlischwur auf europäischer Ebene würde es uns zumindest ermöglichen, statt in Promille wieder mit einem Prozentanteil am Weltgeschehen bemessen zu werden.